Stehen & Gehen

Stehen und Gehen stellen neben Sitzen und Liegen die beiden Hauptaktivitäten unseres Bewegungsapparates dar.

Fortbewegung mittels unseres Körpers geschieht in vielfacher Hinsicht und kannpraktischen Zwecken (von A nach B kommen) oder sportlichen Zwecken (oftmals von A über Umwege zurück zu A) dienen.

Sie kann als Audauertraining, Krafttraining, Koordinationsübung oder Gleichgewichtstraining genutzt werden.

Fortbewegungsarten können rein körperlich und im Medium Luft geschehen, wie zum Beispiel Gehen, Joggen, Klettern, Sprinten, Schleichen, Springen, Krabbeln oder Rollen, können aber auch im Medium Wasser in zig Varianten vorkommen, von Brustschwimmen über Delphintempi und Rückenschwimmen zum Kraulen oder Tauchen.

Neben den rein körperlichen kann man auch Hilfsmittel wie Fahrräder, Skateboards, Rollerskates, Pogostöcke, Eislaufschuhe, Snowboards, Schi, Paragleiter, Flugdrachen, motorisierte Gefährte uvm. benutzen um sich vorwärts zu bewegen.

Teils als reine Gebrauchsgegenstände teils aber auch als Sportgeräte und letzlich alsInstrument, auf dem kunstvoll gespielt werden kann, präsentieren sich viele der oben genannten Hilfsmittel.

Nur wenige Menschen nutzen ihren Körper als Instrument und lernen darauf so kunstvoll zu spielen wie auf einem Klavier oder auf einer Geige.

Was wäre wenn wir unsere alltäglichen Bewegnungsabläufe, unser Stehen, Sitzen oder Gehen zur Kunstform erheben würden?

Nicht im Sinne von unnatürlichem, verschnörkelten Gehens, mit Pirouetten- und Räderschlagen,
sondern in einer ökonomischen, eleganten und physiologisch-gesunden Art und Weise.

Diese Art zu gehen findet sich im Tangotanz.
Weniger im traditionellen Tango, wo sich das paar schräg aufeinanderstützt, der Mann die Frau zieht und schleift und falls sich der Kontakt plötzlich trenne,
müssten beide mit dem Gleichgewicht kämpfen, sondern im Sinne des Tango Nuevo.

Jeder Partner ruht in seiner Mitte, aufrecht und elegant, ist in gegnseitigem Austausch, lässt sich vom Impuls des anderen leiten oder führt und gibt Impulse. Löst sich der Kontakt ruht jeder in seinem Kern, der Körpermitte.

Im Qi Gong, in Begriff so umfangreich wie Yoga, Tanz oder Kampfsport, mit vielen Schulen, Lehrern, Stilen, gibt es schon ein sich durchsetzendes Prinzip.

Dieses gilt für Stehen, Sitzen und Gehen gleichermaßen und ich möchte es hier so gut erklären wie ich es verbal im Augenblick schaffe.

Leichter ist es diese Übungen in einer Therapiestunde mit dem Therapeuten zu erarbeiten. Ein Bild, eine Berührung sagt oft mehr als tausend Worte, doch von Worten kann man auch allerhand lernen.

Ich beginne mit dem Stand, von unten aufgebaut:

Die Füße stehen parallel, das heißt die Fußinnenseiten, die Innenkanten der Füße stehen parallel. (Wenn man die Füße schließt und dann ganz genau seitlich wegsteigt steht man parallel)

Die Füße stehen Hüftbreit, wer sich eingeengt und unwohl fühlt kann auch Schulterbreit stehen.

Wer die Füße nicht parallel kann zu halten soll probieren das zu lernen oder, falls die Füße verdreht stehen wenigstens auch die Knie dorthin ausrichten, dass die Achsen stimmen und weder „X“- noch „O“-Beine entstehen.

Wenn die Kniescheibe dorthin zeigt wohin auch 2. & 3. Zehe zeigen steht so gesehen schonmal ganz gut.

Die Fußsohlen sind auf 3 Punkten gleichmässig belastet.
Auf den Fersen, den Großzehenballen und den Kleinzehenballen. Wenn man die Punkte verbindet bekommt man auf jedem Fuß ein Dreieck, welches mit der Spitze nach hinten ausgerichtet steht.

Das Gewicht ist gleichmässig zwischen linkem und rechtem Fuß verteilt und ruht in den Fußmitten (nicht auf den Fersen oder den Ballen, dies kann auch garnicht sein, wenn man die 3 o.g. Punkte gleichmässig belastet).

Die Knie sind leicht (!) gebeugt. Leicht heißt gerade nicht gestreckt.

Wenn man aufrecht steht und die Arme locker hängen läßt sind diese fast gestreckt. Nicht ganz aber fast. Wenn man den Arm ausschüttelt und hängen lässt sollte man immer noch einen minimalen Abstand hin zur vollen Streckung haben, probieren sie es aus.

Es ist anzustreben, dass auch die Knie diese fast-aber-nicht-ganz-Streckung erfahren.

Eigentlich ist es ein kleines Fallen. Ein Fallen in die aktive Beinspannung. Herausfallen aus der knöchernen stelzenhaften Streckhaltung. Egal ob einbeinig oder auf beiden Beinen, es soll Spannung in die Beine! Diese Spannung muss raus aus der unteren Wirbelsäule, rein in die Beine. Es ist anstrengend und ungewohnt aber es ist essentiell.

Werden die Beine zu stark gebeugt ist es zu anstrengend und die Haltung bleibt nicht lange. Zum Ausgleich streckt man die Beine und die Lendenwirbelsäule steht hohl und verspannt im Raum. Außerdem kann eine zu starke Beugung auf Dauer dem Knie schaden, da die Kniescheibe fest ans Gelenk gepresst wird und der Kniescheibenknorpel davon auch nicht begeistert ist.

Also paralleler Stand, Füße gleichmäßig belastet, Knie leicht (minimal) gebeugt, sowenig, dass sie gerade nicht gestreckt sind.

Jetzt sind die Stoßdämpfer aktiviert.

Jedes Gewicht, das man in diesem Zustand fängt, wird über die Beine abgefedert. Die Beine können durch Wucht kurz gebeugt werden, schnellen aber dann wieder in die leicht gebeugte Haltung zurück.

Kettlebelltraining aktiviert hier sehr gut die Muskelvorspannung und hilft dien Stoßdämpfer zu perfektionieren. Aktives Benutzen des Strechreflexes. Vor allem der Swing und der Clean helfen hier.

Nun zum Becken.
Bei gestreckten Knien ist das Becken im Hohlkreuz fixiert.
Hohlkreuz ist toll beim Sitzen und Heben und ein No-Go beim Stehen und Gehen.

Werden die Knie wie oben genannt gebeugt findet bei manchen Menschen automatisch ein Ausgleich im Becken statt und es sinkt etwas aus dem Hohlkreuz heraus. Aber nicht bei jedem.

Wessen Becken nicht automatisch sinkt sollte nicht mit einem Kraftaufwand das Becken weg vom Hohlkreuz hin zur Rundung kippen. Es würde Kraft kosten das Becken dort zu halten, das verspannt auf Dauer.

Das Becken soll von selbst in die neutrale Position fallen.
Um dies zu facilitieren kann man bewusst das Hohlkreuz verstärken ohne dabei die Beine ganz zu strecken, die Spannung halten, bis es unangenehm wird und dann loslassen. Nun sollte das Becken weg vom Hohlkreuz, hin zu einer neutralen Position fallen.

Man fällt leicht in die Knie, das Becken fällt leicht, der Bauch entspannt sich, lässt los. Der Beckenboden darf eine leichte Spannung beibehalten.

Nun steht der Unterbau.
Das Becken will, schwer wie Blei nach unten, belastet die Beine, der untere Rücken entlastet.

Das Brustbein soll gehoben sein, aber nicht ganz
Um dies zu erreichen hebt man das Brustbein so weit es geht nach oben, wie wenn man eine Halskette mit Amulett strägt und dieses stolz präsentiert.
Brust raus ohne ins Hohlkreuz zu fallen!

Wer die Isolationen nicht beherrscht und Becken, Brustbein und Kopf nicht unabhängig voneinander bewegen kann muss Überstunden machen und erst dies üben.

Kann man das lange und schmerzfrei halten, ist es ökonomisch?
Nein.
Also, fällt das Brustbein ganz leicht zurück. Es ist noch aufrecht, fast ist die Wirbelsäule ganz gestreckt, aber nur fast, die Brustwirbelsäule ist in der Mitte bis leicht gestreckt. Man könnte den Abstand zwischen Schambein und Brustbein noch etwas erhöhen oder sogar noch sehr verringern wenn man wollte.

Knie fast gestreckt, Becken neutral, Brustbein leicht gehoben, Kopf wird nach oben gesteckt.

Ein imaginärer Punkt befindet sich in der Mitte des Kopfes. Dort wo sich 2 Linien kreuzen.
1. die Linie, die sich ergibt wenn man die Ohren über den Kopf verbindet.
2.die Linie in der Kopfmitte, von der Nasenspitze über den Kopf bis zum Hinterhaupt.

Dieser Punkt drückt nach oben. Dies verhindert 1. Doppelkinn (Punkt zu weit hinten) oder Kinn hoch (Punkt zu weit vorne).

Der Kopf ist leicht, er zieht nach oben wie ein mit Helium gefüllter Ballon. Das Becken ist schwer und zieht nach unten. In der Mitte befindet sich die Wirbelsäule und wird dadurch gestreckt.

Ein geerdeter, federnder Stand, eine gestreckt Wirbelsäule und ein den Himmel stützendes Haupt machen die gute, stabile und dennoch agile Haltung aus.

Gut üben kann man das an einer Wand. Man steht mit den Fersen an, Knie gestreckt, Hohlkreuz usw. und richtet sich wie oben beschrieben ein.

Wer so steht hat die halbe Miete bereits bezahlt.
Nur ebenso wie die Zehen während der 3-Punktbelastung der Fußsohle locker bleiben sollten, muss auch der Nacken, der Schultergürtel und überhaupt die Rotation, die Drehung der Wirbelsäule mühelos möglich sein.

Dafür kann man die Schultern heben, spannen und fallen lassen.
Die Arme hängen entspannt.
Nun dreht man Brustwirbelsäule locker, mal links, mal rechts, dreht die Schultern, mal die linke vor, mal die rechtet vor. Die Arme hängen entspannt, lediglich führt man sie so, dass der Drehimpuls zu einem Vor- & Zurückschwingen führt, keinem Hin- und Herschwingen.

Wenn die oben beschriebene Haltung, sinkendes Becken, steigender Kopf mit der lockeren Rotation der Wirbelsäule verbunden werden kann, die Arme locker pendeln sind dreiviertel der Miete schon bezahlt und wer sich die Miete leisten kann wohnt gleich nochmal so gern im Haus.

Die gesamte Haltung ist geprägt vom entspannten Fallen (und Steigen des Kopfes) und vom Verweilen im neutralen Bereich.
Keine Extreme finden hier statt, daher kann sie auch lange gehalten werden. Der Trend geht zur Aufrichtung, aber nicht um jeden Preis und auf Kosten der eutonen Spannung. Die nötige Beinkraft und ähnliches entwickelt sich mit der Zeit, die Gelenke werden stabilisiert und geschont.

Abgesehen von den 3 Lockerungen, den 5 Becken-im-Raum-Richtungen, den höheren Isolationen mit Kreisen und 8ern, auf die ich hier & jetzt nicht eingehen werde und abgesehen von vielen Details, die persönlich erklärt werden können stellt sich nun die Frage:

Gilt das auch fürs Sitzen und Gehen?

Ja.

Wie kann ich es ins Gehen übertragen?

Mit Übungen zur Übertragung.
Diese beinhalten Gewichtsverlagerung im neutralen Stand, Gewichtsverlagerung in der Schrittstellung, Spielbeinübungen und diverse Gangmodifikationen betreffent Schrittlänge, Schrittbreite, Armpendel usw.

Ein ökonomischer Gang nach meinen Prinzipien führt zu einem Gegenwirken der altersbedingten Gelenks(motorik)veränderungen, einer verbesserten Hüftextension (Hüftstreckung), zu verbessertem Gleichgewicht, zum Aufbau und zur Stabilisierung des Fußgewölbes, zur Stabilisierung von Sprunggelenk, Kniegelenk, Hüftgelenk und Wirbelsäule, zur Erhaltung der Wirbelsäulenrotation(Drehung), zur Aufrichtung, lockeren Schultern und entspanntem Nacken.

Also ein weiterer Schritt hin zum agilen & stabilen Körper!